Zahllose Verbraucher warten noch immer auf eine Entscheidung, ob ihnen im Dieselskandal Schadensersatz zusteht. Die Herausforderung dabei: Sie müssen nachweisen, dass die Autohersteller vorsätzlich betrogen haben – in der Praxis oftmals nicht möglich. Jetzt sind interne Dokumente aufgetaucht, die Bosch und die Autokonzerne möglicherweise schwer belasten. Was zeigen die Dokumente? Und wie gehen Verbraucher jetzt am besten vor, um gegebenenfalls zu ihrem Recht auf Entschädigung zu kommen?
Die internen Unterlagen stammen von Bosch, einem der größten Autozulieferer. Sie lassen vermuten, dass den Bosch-Entwicklern schon früh bewusst war, dass die von ihnen entwickelte Software zur Abgasreinigung möglicherweise unzulässige Funktionen enthält. Besonders brisant dabei: Anscheinend wurde die betroffene Software von bekannten und namenhaften Autoherstellern in Auftrag gegeben. Darunter auch deutsche Hersteller wie Audi, VW und Mercedes – aber erstmals auch BMW. Bislang hatte der Autohersteller betont, nicht vom Abgasskandal betroffen zu sein.
Insgesamt 44 verschiedene Varianten der Software hat Bosch dann angefertigt – sowohl für Diesel- als auch für Benziner-Motoren, die hiermit erstmals ebenfalls in den Fokus des Abgasskandals rücken. Das Entscheidende: Bosch weist die Autohersteller in den internen Unterlagen darauf hin, dass die Software „Auswirkungen auf die Einhaltung behördlicher Vorschriften [..] haben kann“. In anderen Worten: Sowohl Bosch als auch die Hersteller wussten anscheinend, dass die Abschalteinrichtungen rechtlich unzulässig sein könnten. Bisher haben sich die Autokonzerne damit verteidigt, dass lediglich einzelne VW-Ingenieure die Software entwickelt hätten – und die Vorstände davon nichts wussten.
Um sich selbst rechtlich abzusichern, vermerkt Bosch in den Dokumenten, dass die Hersteller die Funktionsweise der Abschalteinrichtungen selbst verantworten und rechtfertigen müssen. Dabei führen die Dokumente auch eine Folie mit dem Titel „Beispiel: Reaktion US-Behörden“. Diese zeigt, wie Toyota eine Umschaltfunktion bei Benzinern verbaut hatte und daher 2002 in den USA zu einer Millionenstrafe sowie einer Nachrüstung aller betroffenen 150.000 Fahrzeuge verurteilt wurde – ein klarer Hinweis von Bosch auf mögliche rechtliche Konsequenzen.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat die internen Dokumente veröffentlicht. Sie hat diese im Sommer 2022 aus dem Umfeld der Automobilindustrie zugespielt bekommen.
Die neuen Erkenntnisse im Dieselskandal rund um Bosch könnten erhebliche juristische Auswirkungen haben. Denn: Sie deuten darauf hin, dass die Autohersteller die Software in Auftrag gegeben haben – obwohl Bosch auf die fehlende rechtliche Eignung hingewiesen hat. Damit hätten die Hersteller gegebenenfalls mit Vorsatz gehandelt. Bisher hatten sie stets argumentiert, dass die Reduktion der Abgasreinigung dem Schutz des Motors diene. Und: Sie sei durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zugelassen. Diese Argumentation könnte jetzt hinfällig sein.
Das würde bedeuten Verbraucher müssten zukünftig nicht mehr nachweisen, dass die Hersteller betrügen wollten. Sie haben daher jetzt deutlich bessere Chancen, vor Gericht einen Schadensersatz zu erstreiten.
Die brisanten Unterlagen wurden mittlerweile an die Stuttgarter Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Die DUH will die Dokumente zudem dem Verwaltungsgericht Schleswig vorlegen. Dies entscheidet im Februar 2023 über den Einsatz der temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen. Dabei wird das Gericht über 119 Diesel-Fahrzeugmodelle verhandeln. Sollte es – auch dank der neuen Unterlagen – zu dem Schluss kommen, dass die Einrichtungen unzulässig sind, müssten über fünf Millionen Diesel-Fahrzeuge behördlich stillgelegt bzw. nachgerüstet werden. Und: Betroffene Verbraucher würden Schadensersatz erhalten.